Jeder von uns trägt in sich eine Anlage, die uns einzigartig macht und die nach Verwirklichung drängt. Lassen wir das nicht zu, entsteht Unzufriedenheit, Lustlosigkeit, Krankheit. Der Körper beginnt, sich zu verbiegen, krümmen, erstarren, versteifen. Und hier beginnt unsere Angst vor der Nacktheit, denn nackte Körper lügen nicht. Können wir mit Kleidern alles wunderbar kaschieren, der Welt eine retuschierte Ansicht von uns präsentieren, gelingt das mit dem nackten Körper nicht. Und so bedeutet sich nackt vor eine Zeichnungsklasse zu stellen auch immer, sich so zu zeigen wie man ist, die intensiven Blicke der zeichnenden Künstler auszuhalten, die jeden Winkel des Körpers ausleuchten und nachbilden. Die mit den Augen den Linien, den Hügeln und Tälern des Körpers folgen, ihn mit allen Sinnen erspüren, während die Hand auf dem Blatt den Bewegungen folgt, Linien zeichnet, Schatten vertieft, Lichter setzt. Die Lebensgeschichte des Menschen erahnen, der da steht, sitzt oder liegt. Die Botschaft der Pose verstehen, die er gewählt hat. Zwischen Künstlerin und Modell findet ein Dialog statt. Stellt sich der Betrachter des fertigen Bildes den Gefühlen, die in ihm aufsteigen, horcht er auf sein Inneres, das ihm etwas bewusst machen möchte, setzt sich der Dialog fort